Fachartikel

Grundsätzliches zur Zucht und Haltung von Psittaciden für den Privathalter

Forenbeitrag von VolkerM 21-06-2004

Wenn wir davon ausgehen, dass (unabhängig davon, ob wir dies befürworten, kritisch hinterfragen, oder grundsätzlich ablehnen) die Zucht und Haltung von Psittaciden für den "Privatgebrauch" mittel- bis langfristig Bestand haben wird, und wir sowohl den Erfordernissen einer artgerechten Zucht und Haltung, den Erfordernissen des Artenschutzes und gleichzeitig auch den "Bedürfnissen" der Halter/innen hinsichtlich der Möglichkeit eines halbwegs unproblematischen "Umganges" mit den Vögeln gerecht werden wollen, kommen wir an folgenden Feststellungen nicht vorbei:

  1. Der Import von Freilandentnahmen (Wildfängen) muss sukzessive reduziert werden. (Ich glaube, dass wir alle hierin übereinstimmen) Erstrebenswert (aber momentan illusorisch) wäre wohl ein generelles Importverbot.

  2. Hieraus folgt, dass die "Nachfrage" (der "Bedarf") durch Inland-Nachzuchten gedeckt werden muss.

  3. Da der Bedarf sich vorwiegend an der Nachfrage "privater Haushalte" nach Psittaciden (und hier wohl überwiegend der Nachfrage nach Papageien, denen bestimmte Eigenschaften - wie z.B. "Sprachbegabung", repräsentatives Aussehen, "Zähmbarkeit" - zugeordnet werden) orientiert und diese Reduktion des wesentlich komplexeren Verhaltensrepertoires der betreffenden Psittaciden auf einige (wenige) -teilweise auch noch unzutreffende- Verhaltensparameter ihre Entsprechung in dem "Eingehen" vieler (kommerzieller) Züchter/innen auf die "Kundenwünsche" findet, wird ein marktwirtschaftlicher Mechanismus in Gang gesetzt, der eine differenzierte Betrachtungsweise kaum noch zulässt.

  4. Hieraus folgt, dass der Wunsch (zu) vieler Interessentinnen/Interessenten nach einem (oder mehreren) dem vorgenannten reduzierten (Fehl)Bild entsprechenden Vogel/Vögeln u.a. dazu geführt hat (führt), dass viele kommerzielle Züchter/innen dem Kundenwunsch nach einem "zahmen" Vogel dadurch entsprechen, dass sie (teilweise ausschließlich) Handaufzuchten praktizieren und anbieten.

  5. Es ist nicht strittig, dass Psittaciden in "Gefangenschaftshaltung" (unabhängig von der Haltungsform und Unterbringung) einige Voraussetzungen erfüllen, bzw. einige Anpassungen "erlernen" müssen, um ein dauerhaftes (für alle Beteiligten - Mensch/en und Papagei/en) vernünftiges "Handling" zu ermöglichen. Es ist weder für Mensch noch Papagei zuträglich, wenn die Vögel dauerhaft panisch und schreckhaft reagieren, Fütterungs- und Pflegearbeiten zur Qual werden, notwendige tierärztliche Untersuchungen kaum durchführbar sind etc.

  6. Es dürfte ebenfalls nicht strittig sein, dass naturorientierte Bruten und Aufzuchten den Abläufen bei Freilandbruten und Freilandaufzuchten zu einem weit höheren Anteil entsprechen, als Kunstbruten und Handaufzuchten. Aus unserer eigenen Erfahrung (und Erfahrungen anderer) können wir jedenfalls sagen, dass unsere (und deren) Nachzuchtvögel alle Anforderungen an eine unproblematische "Handhabung" erfüllen. Wir führen "Misserfolge" hinsichtlich der Erreichbarkeit der unter e) genannten Kriterien u.a. auf mangelnde Geduld und (vielleicht) des öfteren fehlendes Einfühlungsvermögen zurück. Mangelnde Geduld scheint uns übrigens ein gesamtgesellschaftliches Problem zu sein.

  7. Es wird für potenzielle Käufer/innen immer schwieriger, überhaupt zwischen Handaufzuchten und Naturbruten zu alternieren, weil der Anteil handaufgezogener Psittaciden mittlerweile überwiegen dürfte.

  8. Es fällt uns (weil wir uns mit der Thematik nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch - mit allen für halbwegs "wache Augen" in dieser Hinsicht zu sehenden Abscheulichkeiten befassen) nicht gerade leicht, die Thematik weistestgehend emotionsfrei (oder besser: Unter Verdrängung der Emotionen) zu bearbeiten.

  9. Jetzt noch eine (vielleicht provokative - aber notwendige) Frage: Wer von Euch würde Handaufzuchten auch dann (noch) präferieren, wenn psychisch stabile Vögel, die den unter e) genannten Kriterien entsprechen, auch durch naturorientierte Brut und Aufzucht zu erhalten sind?

 

Hier ein (stark eingekürzter) kleiner Rück- bzw. Überblick wg. Entwicklung der "Handaufzucht" während der letzten 20 Jahre anhand von Zitaten:

1980: Curt af Enehjehm (zu dieser Zeit Direktor des Zoolog. Gartens von Helsinki): "Im allgemeinen werden Papageien viel weniger als Sittiche gezüchtet - sowohl arten- als auch zahlenmäßig. Regelmäßig werden eigentlich nur Unzertrennliche und Sperlingspapageien gezüchtet - andere Arten dagegen nur gelegentlich. Die Gründe hierfür sind recht naheliegend, denn von den größeren Arten werden ja die meisten als "zahme" Familienvögel gehalten - also von Besitzern, die oft nicht passionierte Vogelliebhaber sind und überhaupt nicht an Zucht denken. Außerdem wollen viele Besitzer erklärter Weise ihre zahmen Vögel nicht zur Zucht abgeben - in der nicht ganz fehlerhaften Annahme, dass sie dadurch vielleicht "schüchtern" werden. Solche zahmen Vögel sind meistens auch nicht recht für Zucht geeignet, da sie oft auf Menschen geprägt sind und sich nicht für Artgenossen interessieren."
(Enehjehm, Curt af (1982): Papageien: Haltung - Zucht - Arten , 7. Aufl., Franckh`sche Verlagshandlung, Stuttgart, S. 33)

1990: -Europa- Werner Lantermann (Fachautor, IPF): "Die Mehrzahl der Großpapageienzüchter entstammt dem "Lager" der (ehemaligen) Agaporniden- und Sittichzüchter, die nun zunehmend ihren Altbestand dezimieren und ihre Volieren Stück für Stück mit Großpapageien besetzen. Als Grund für diese Umstellung ist (...) anzusehen, dass im Augenblick kein Markt, keine Absatzmöglichkeit für die seit Jahren leicht und zum Teil produktiv züchtbaren Sittiche und Kleinpapageien besteht. Neben der Tatsache, dass alle interessierten Liebhaber inzwischen mit solchen Arten "versorgt" sind und die Nachfrage somit nachlässt, spielt besonders der finanzielle Aspekt eine wichtige Rolle. So lässt sich mit den meisten züchtbaren Arten - dazu gehören besonders die sogenannten australischen Großsittiche, die Agaporniden und Sperlingspapageien - kein Gewinn mehr erzielen (...). Folglich bemühen sich die Züchter darum, exotische attraktive Großpapageien, für die (...) ein Boom zu verzeichnen ist zur Nachzucht zu bringen und später primär als potenzielle Stubenvögel zu veräußern."
(Lantermann, W. (1990): Großpapageien - Wesen, Verhalten, Bedürfnisse, Franckh, Stuttgart, S. 140,142)

1990:-USA- AIan Miller (Biologe, Publizist): "Die Fortschritte bei der Handaufzucht von Papageien eröffnen bisher in diesem Umfang nicht vorhandene Möglichkeiten des Bedienens von Nachfrage. Vielfach entstehen Zuchtanlagen, die mit ihren modernen Methoden ein wirtschaftliches Arbeiten erlauben und die gewünschten zahmen Vögel zu produzieren in der Lage sind." - Übersetzg. d. Verf. (Miller, I. (1989): Reproductiv success of hand-reared parrots, Ecol.News, Tampa, Florida, S.24)

2002: Werner Lantermann: "(...) und heute sind handaufgezogene Papageienvögel aus der Angebotspalette des Zoohandels und der professionellen Privatanbieter kaum mehr wegzudenken. (...) wird die Handaufzucht - bei allem damit verbunden Pflegeaufwand zu einem äußerst lukrativen Geschäftszweig im Heimtierhandel." (Lantermann, W. (1998): Verhaltensstörungen bei Papageien: Entstehung - Diagnose - Therapie, Enke Verlag, Stuttgart, S. 95)

Zusammenfassend: Die erhöhte Nachfrage privater Haushalte nach Großpapageien hat zunächst in den USA und - zeitversetzt - in den europäischen Ländern zu einer marktwirtschaftlich bedingten Optimierung der Reproduktionsmöglichkeiten geführt. Nicht die Idee der "Arterhaltung durch Zucht" , sondern ökonomische Mechanismen waren Auslöser und Triebfeder dieser Entwicklung.

Index Fachartikel
www.Vogelkauf.de - Alles über Elternaufzucht, Handaufzucht, Wildfang von Vögeln